Die Gängeviertel wurden zu ihrer Zeit häufig als Verbrecherviertel bezeichnet. In der Vorstellungswelt des wohlsituierten Bürgertums wurden in den Kellerkneipen und Hehlerläden des Viertels ständig neue Coups und Raubzüge ausbaldowert. Gänzlich realitätsfern waren diese Vorstellungen dabei nicht. Die grassierende Armut und die unständige Beschäftigung im Hafen brachten viele Viertelbewohner*innen dazu, ihren Lebensunterhalt mit Kleinkriminalität und Prostitution zu verdienen. Neben Einbrüchen kam es im Viertel vor allem zu Taschendiebstählen, deren Beute schnell beim ortsansässigen Hehler versetzt werden konnte. Eine Verfolgung der Täter*innen war oft nicht nur sinnlos, sondern teils auch gefährlich und konnte Blessuren nach sich ziehen. Eine Erfahrung, die auch die Polizei immer wieder machen musste, die sich nur mit Doppelstreifen in die Viertel wagte.

Gerade die hohe Zahl an Nahrungsmitteldiebstählen, besonders von Jugendlichen, zeigte jedoch, dass die Kriminalität der Gängeviertel oft der wirtschaftlichen Not und den erbärmlichen Lebensumständen geschuldet war. Diese waren auch ein Hauptgrund für die in den Gängen grassierende Prostitution. Besonders das Gängeviertel der nördlichen Neustadt und die angrenzenden Straßen Richtung Gänsemarkt waren für ihren Rotlichtbezirk berühmt-berüchtigt. Im Jahr 1912 starb dort der dänische König Frederik VIII. nach einem Bordellbesuch in der Schwiegerstraße an einem Schwächeanfall. Der König hatte sich zuvor unter Pseudonym mit Frau und Kindern in der Hansestadt einlogiert. Während die Bordelle im Bereich Drehbahn, Dammtorwall und Gänsemarkt eher der bürgerlichen Kundschaft vorbehalten waren, war die Prostitution in den Gängevierteln eher auf Arbeiter, Matrosen und Soldaten ausgerichtet und armutsbedingt, oft handelte es sich um Prostitution aus reiner wirtschaftlicher Not.

Die Stadt Hamburg pflegte, im Gegensatz zum Rest des Deutschen Reiches, traditionell einen eher toleranten Umgang mit dem Rotlichtgewerbe. Zahlreiche Straßen in der Alt- und Neustadt verfügten über mindestens ein Bordell, einige sogar über mehr als ein Dutzend. Der Ebräergang wurde wegen seiner zahlreichen Etablissements im Volksmund schlicht in Ehebrechergang umgetauft. In der Speckstraße, die auch Teil des heutigen Gängeviertels ist, gab es 1893 16 Bordelle mit insgesamt 65 Prostituierten, die sich die Straße mit 150 Familien mit 220 Kindern teilten. Die unmittelbare Nachbarschaft von Anwohner*innen und Prostituierten führte immer wieder zu Konflikten und Sorgen über die moralische Verwahrlosung der Bewohner*innen der Gänge. Dennoch hielt sich das Gewerbe erstaunlich lange in der Innenstadt und erst Ende der 1950er-Jahre verschwand mit der Ulricusstraße, die dem Bau des Unilever-Hochhauses weichen musste, der letzte Rest des innerstädtischen Rotlichtbezirks.

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